Motivierender Einstieg

Wer meinen letzten Beitrag, den Kellerhammer, gelesen hat, wird wissen, dass ich mich mit der Entscheidung, ohne Keller zu bauen, schwer getan habe. Mittlerweile bereue ich es kein Stück mehr. Der Grund dafür ist natürlich: Wir Menschen sind keine rationalen Wesen, sondern rationalisierende Wesen. Wir treffen eine Entscheidung basierend auf einer Vielzahl von Faktoren, viele davon unbewusst, und reden uns dann im Nachhinein ein, warum das gerade die richtige Entscheidung war. Wenn ich also mit Keller gebaut hätte, sähe der Beitrag sicher jetzt komplett anders aus. So, ich glaube, damit habe ich die am wenigsten motivierende Einleitung des Blogs geschrieben.

Aber vielleicht hadert ja der eine oder andere auch noch und braucht etwas moralische Unterstützung. OK, da habt ihr sie: Ja, ein Leben ohne Keller ist möglich und möglicherweise sogar lebenswert!

Ein Liebesbrief an den Keller

Ein Keller ist toll. Günstiger kommt man abseits der Garage nicht an Nutzfläche. Er bietet gerade bei kleinen Grundstücken die Möglichkeit, das Baufenster sinnvoll zu nutzen. Er ist im Sommer angenehm kühl und bietet eine Oase der Ruhe vor dem Familientrubel im Erdgeschoss. Habe ich schon erwähnt, dass ein Keller toll ist?

Meine Eltern haben einen Keller. Meine Schwiegereltern haben einen Keller. Gefühlt alle Häuser aus dem letzten Jahrhundert haben einen Keller. ChatGPT meint, dass der Kelleranteil in Westdeutschland bei Häusern aus den 70ern bei 90 % lag. In den 90ern waren es dann immerhin noch 60-70 %. Heute sind es 30-40 %. Was ist passiert?

Kellersterben

Wie sah es denn damals aus, als der Keller seine Hochzeit hatte? Der Garten wurde zum Anbau genutzt. Die Ernte wurde im Keller eingelagert. Ganz klassisch ist der Kartoffelkeller. „Unten“ war es immer schön kühl. Die Speisekammer war ausgedehnt und voll. Dosenravioli fand man eher nicht, dafür eingelegtes Obst und Gemüse.

Vorratskeller. manufactum.de

Und sonst so? Nun, da gab es natürlich noch die obligatorische Werkstatt. Man mag es kaum glauben, aber früher wurde versucht, Dinge zu reparieren, wenn sie kaputtgingen. Ein durchschnittlicher Fernseher kostete damals knapp einen Monatslohn. Reparaturanleitungen waren obligatorisch. Amazon gab es noch nicht und China war weit weg.

Und heute? Ein Waschraum im Keller ist nett. Lager? Klar. Werkstatt? Naja, warum eigentlich nicht? Aber was mache ich mit den übrigen 30-40 m²? Hobby? Die Anforderungen an den Keller haben sich seither dramatisch verändert. Wer repariert heute noch seinen Rasenmäher? Wer baut sich noch selbst seine Möbel? Meine Elterngeneration mit Keller! Aber Lagerfläche braucht man doch sicher auch, oder? Dazu später mehr. Und ein kühler Raum für Lebensmittel? Wozu, wenn der ALDI um die Ecke ist und die 100 m² Garten sicher nicht noch für ein Gemüsebeet draufgehen sollen? Früher war eben vieles anders. Wesentliche Aufgaben des Kellers sind heute für viele obsolet.

Hobbyraum

Was ist also vom Keller geblieben? LUXUS. Ein richtig großer Hobbyraum mit Tischtennisplatte, Heimkino, Billard, Bar und was weiß ich nicht alles. Das wäre schon was… Klar wäre das was, aber es ist eben keine Voraussetzung für ein funktionierendes Haus und wird in Zeiten knapper Kassen als erstes gestrichen.

„Aber, aber, wenn wir Waschen und Technik im Keller haben, sparen wir doch Platz im Erdgeschoss und Obergeschoss und können damit kleiner bauen.“ No shit, Sherlock. Der Punkt ist, dass bei diesen praktischen Abwägungen das Grundstück vieles vorgibt. Es gibt dafür die eine oder andere Kellerregel. Heruntergebrochen gibt immer das Grundstück, also konkret Boden und Neigung, die Zweckmäßigkeit eines Kellers vor. Wenn wir auf der platten Wiese bauen, rechnet sich ein Keller in der Regel nicht. Und da sind wir genau beim Punkt: Der Standard-Bauherr mit dem Standard-Grundstück wird sich über beide Ohren mit dem Hausbauprojekt verschulden müssen. Je knapper das Geld, desto spitzer der Bleistift. Luxus fällt da hinten runter.

Bauchschmerzen

„Aber Roteweste, du wolltest doch etwas Positives zur Entscheidung gegen den Keller schreiben? Jetzt lese ich die ganze Zeit nur, wie toll doch der Keller ist. Wo ist der Silberstreif am Horizont?“

Da ist er. Wolfgang Kohl

Treppen. Wie Treppen? TREPPEN SIND MIST! Ganz besonders dann, wenn die Nutzfläche im Keller ausgelagert ist. Ein kleines Beispiel: Wir haben einen Waschraum im Obergeschoss. Unsere Schmutzwäsche wird dort ausgezogen, gewaschen und wieder einsortiert. Dafür müssen wir null Treppen laufen. Mit Keller dagegen: Oben ausziehen. Treppe runter ins EG. Treppe runter in den Keller. Hoch ins EG/OG, um Sachen zu machen. Wäsche ist fertig? Wieder runter in den Keller. Dann nach oben, Wäsche einsortieren. Puh! Da geht mir schon beim Schreiben die Puste aus. Im Alltag mit Kindern wird es sicher nicht entspannter.

„Aber was ist mit der Speisekammer?“ Durch die fehlende Kellertreppe haben wir unter der Treppe zum OG Platz für eine Speisekammer. „Ja, aber die ist nicht so kühl wie im Keller!“ Klar, aber einen Kühlschrank gibt es ab 200 Euro. Wie viele sollen es sein?

„Aber, aber was ist mit dem Stauraum?“ Ein Gedanke, der mir oft kommt, wenn ich Keller in Einfamilienhäusern sehe, ist: Die armen Erben. Im Lager türmt sich der Müll meterhoch. Natürlich kein Müll. Nein, natürlich nicht. Der Staubsauger von Oma Erna ist noch gut. Der hat vor 40 Jahren schon geschnurrt wie ein Kätzchen. Und die psychedelischen Blumentöpfe aus den 70ern kommen sicher auch irgendwann mal wieder in Mode. Genau wie die vergilbte zweite Garnitur Gartenmöbel. Und der alte Rasenmäher tut zwar nicht mehr, aber vielleicht gibt er ja ein gutes Ersatzteillager für den aktuellen ab, wenn der mal nicht mehr geht? Der Keller ist oft mehr zur Last als zur Erleichterung.

Vorstellung. hellotax.com
Wirklichkeit. basementdesigner.com

Aber warum eigentlich? Habe ich es nur mit Messies zu tun oder habe ich einen Ordnungsfimmel? Mag sein, aber ich denke, hier liegt eine tiefere Weisheit im Keller verbuddelt. hehe

Der Wert des Nutzraums

Nutzraum ist per se nicht überall gleich sinnvoll, sondern es kommt immer auf die Lage an. Also „Lage, Lage, Lage“. Der Quadratmeter Waschraum im OG ist nicht nur viel teurer, sondern aufgrund der kurzen Laufwege auch viel wertvoller als der Quadratmeter Waschraum im Keller. Gleiches gilt für Speisekammern und alle anderen Lagermöglichkeiten. Je umständlicher ich an gelagerte Dinge rankomme, desto seltener werde ich sie benutzen, und die Notwendigkeit zur Ordnung sinkt im gleichen Maße. Der Keller wird also zur Mülldeponie, wenn ich nicht aufpasse und großzügig ausmiste. Das ist Arbeit. Ja, ein Keller macht Arbeit. Ohne Keller lebt es sich bequemer!

Den Hobbyraum traure ich trotzdem hinterher…

RIP. hausjournal.net

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